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Überschrittene Richtgeschwindigkeit: Bei Abweichen vom Verhalten als "Idealfahrer" mit Unfallfolge ist Mithaftung möglich

Auf der Autobahn gilt grundsätzlich eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h, sofern keine anderen Geschwindigkeitsbegrenzungen angezeigt werden. Richtgeschwindigkeit bedeutet, dass Autofahrer sich an diese halten können, aber nicht müssen. Sie dürfen demnach auch schneller fahren. Generell ist aber immer der Grundsatz der Straßenverkehrsordnung zu beachten, dass die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht erfordert.

In dem Fall, den das Oberlandesgericht Oldenburg kürzlich zu beurteilen hatte, fuhr der Fahrer eines Sportwagens mit mindestens 200 km/h auf der Überholspur, als vor ihm ein nicht ganz so hoch motorisiertes Fahrzeug zum Überholvorgang ansetzte und ebenfalls auf die linke Spur zog. Der Sportwagenfahrer konnte nicht mehr bremsen und versuchte daher, den Abstand zwischen dem vor ihm fahrenden und dem auf der rechten Spur befindlichen Auto zu nutzen und durch diesen hindurch zu fahren. Dies gelang ihm jedoch nicht, so dass es zu einem Unfall kam, bei dem beide Fahrzeuge erheblich beschädigt wurden.

Beide Unfallbeteiligten verlangten im Anschluss vom jeweils anderen ihre Reparaturkosten ersetzt. Die Oldenburger Richter hielten eine Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Sportwagenfahrers für angemessen. Keiner der beiden Fahrer konnte den sogenannten Unabwendbarkeitsnachweis führen, das heißt, für jeden von ihnen wäre der Verkehrsunfall bei anderem Fahrverhalten abwendbar gewesen. Damit stehen beide Fahrer prinzipiell in der Haftung. Der Anteil des Sportwagenfahrers überwiege nach Ansicht des Gerichts in der konkreten Unfallsituation jedoch deutlich. Denn abzustellen sei auf einen Idealfahrer, der in seiner Fahrweise auch die Erkenntnisse berücksichtigt, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen von vornherein zu vermeiden. Solche Erkenntnisse haben auch im Gesetz Ausdruck gefunden. Zwar begründet eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h alleine noch keinen Schuldvorwurf. Wer schneller fährt, verhält sich jedoch nicht mehr wie ein Idealfahrer, weil er die Gefahr vergrößert, dass andere Verkehrsteilnehmer seine Geschwindigkeit unterschätzen.

Hinweis: Nur wenn ein Autofahrer nachweisen kann, dass es auch dann zu einem Unfall gekommen wäre, wenn er sich wie ein Idealfahrer verhalten hätte, wird er von der Haftung befreit. Diesen Unabwendbarkeitsnachweis zu führen, ist jedoch in der Praxis sehr schwierig.


Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 21.03.2012 - 3 U 69/11
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2012)

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