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Allgemeines Verkehrsbewusstsein: Keine generelle Mitschuld bei Nichttragen eines Fahrradhelms

Kommt es zu Kopfverletzungen wegen Nichttragens eines Fahrradhelms, trifft den Fahrradfahrer kein Mitverschulden.

Eine Frau fuhr mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit auf einer innerstädtischen Straße. Sie trug hierbei keinen Fahrradhelm. Am rechten Fahrbahnrand parkte ein Pkw, dessen Fahrerin unmittelbar vor der sich nähernden Radfahrerin von innen die Fahrertür öffnete. Die Radfahrerin konnte nicht mehr ausweichen, fuhr gegen die geöffnete Tür und stürzte zu Boden. Dabei zog sie sich schwere Schädel-Hirn-Verletzungen zu, deren Ausmaß das Nichttragen eines Fahrradhelms verschlimmert hatte. Aus diesem Grund kürzte die Haftpflichtversicherung das Schmerzensgeld. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hat diese Auffassung bestätigt und der Fahrradfahrerin ein Mitverschulden von 20 % angelastet, weil sie keinen Schutzhelm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil des OLG jetzt auf und sprach der Fahrradfahrerin Schadensersatz und Schmerzensgeld in vollem Umfang zu. Nach Auffassung des BGH führt das Nichttragen eines Fahrradhelms nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens. Für Radfahrer ist das Tragen eines Schutzhelms gesetzlich nicht vorgeschrieben. Wird die Sorgfalt außer Acht gelassen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt, kann dem Geschädigten zwar auch ohne einen Verstoß gegen Vorschriften ein Mitverschulden anzulasten sein. Nach Auffassung der Richter wäre dies allerdings nur dann zu bejahen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Die Richter konnten zum Unfallzeitpunkt im Jahr 2011 einen Verstoß gegen ein solches allgemeines Verkehrsbewusstsein jedoch nicht erkennen. Nach einer repräsentativen Verkehrsbeobachtung der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 trugen innerorts nur 11 % der Fahrradfahrer einen Schutzhelm.

Hinweis: Von der Haftpflichtversicherung eines Unfallverursachers kann gegen Radfahrer wegen Nichttragens eines Schutzhelms nun kein generelles Mitverschulden mehr veranschlagt werden. Aber Achtung: Aus der Entscheidung ergibt sich auch, dass sie für die Zukunft keineswegs allgemeingültig ist. Bei sportlich ambitionierten Radfahrern ist weiterhin mit einem Mitverschuldenseinwand der gegnerischen Haftpflichtversicherung zu rechnen.


Quelle: BGH, Urt. v. 17.06.2014 - VI ZR 281/13 
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 08/2014)

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