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Zeugenloser Unfall: Anscheinsbeweis spricht gegen Linksabbieger und für dessen 100%ige Haftung

Kommt der Fahrer eines Elektrorollers beim Überholen eines linksabbiegenden Pedelecs zu Fall, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Linksabbiegers.

Der Fahrer eines Elektrorollers fuhr in gleicher Fahrtrichtung wie ein Pedelec-Fahrer, wobei sich dieser etwas vor ihm befand. Kurz vor einer durch Verkehrszeichen markierten Überquerungshilfe bog der Pedelec-Fahrer plötzlich nach links ab, um die Straße zu überqueren, ohne jedoch hierbei auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Der Elektrorollerfahrer wollte gerade in diesem Zeitpunkt das Pedelec überholen, erschreckte sich infolge des Abbiegemanövers und stürzte, ohne dass es dabei zu einer Berührung der Beteiligten kam.

Das Oberlandesgericht München (OLG) hat entschieden, dass der Pedelec-Fahrer zu 100 % haftet, auch wenn es nicht zu einer Kollision gekommen ist. Dem Pedelec-Fahrer war es nicht gelungen, den gegen ihn wirkenden "Beweis des ersten Anscheins" zu erschüttern oder gar zu beseitigen. Dies wäre zum Beispiel möglich gewesen, wenn er hätte nachweisen können, dass er rechtzeitig den beabsichtigten Fahrtrichtungswechsel angezeigt hätte oder der Elektrorollerfahrer selbst verbotswidrig bei unklarer Verkehrslage überholt habe. Etwas Derartiges konnte er aber mangels Zeugen nicht beweisen. Auch ein anteiliges Mitverschulden des Elektrorollerfahrers kam nicht in Betracht, da hierfür nur Faktoren hätten berücksichtigt werden dürfen, die unstreitig oder erwiesen zur Entstehung des Schadens beigetragen haben und dem Elektrorollerfahrer eindeutig zuzurechnen gewesen wären. Aber auch das war in den Augen des Gerichts nicht der Fall.

Hinweis: Die Entscheidung des OLG zeigt einmal mehr, dass auch ohne Zeugenaussagen eine 100%ige Haftung nach Anscheinsbeweisgrundsätzen möglich ist. Ein Anscheinsbeweis kommt immer dann in Betracht, wenn ein allgemeiner Erfahrungssatz den Schluss aufdrängt, eine bestimmte Folge sei auf eine bestimmte Ursache (oder umgekehrt) zurückzuführen.


Quelle: OLG München, Urt. v. 11.09.2015 - 10 U 1455/13
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 09/2016)

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