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Trotz identischem Erstellungsdatum: Ein zweites Testament wird durch die Vernichtung des ersten nicht automatisch widerrufen

Das Oberlandesgericht München (OLG) hatte sich mit der Frage eines wirksamen Widerrufs eines Testaments durch Vernichtung der Testamentsurkunde zu befassen. Hier ging es darum, ob der Erblasser lediglich ein Testament sowie eine handschriftliche Abschrift dieser letztwilligen Verfügung erstellt habe oder ob es sich um zwei separate Originaltestamente handelte.

Der spätere Erblasser hatte zu Lebzeiten am selben Tag zwei Schriftstücke erstellt, die beide mit den Worten "Testament" überschrieben waren und seine Cousine als Alleinerbin benannten. Neben einem Vermächtnis und einer Benennung eines Ersatzerben wurden beide Testamente vom Erblasser mit Datum und Unterschrift versehen. Die zwei Exemplare wiesen dabei nur geringfügige Unterschiede bei der Untergliederung des Textes auf. In einem Exemplar waren die Wörter "meine Cousine" als Einschub oberhalb der ersten Zeile eingefügt worden. Der Erblasser behielt ein Exemplar mit dem Einschub und ohne Gliederungsziffern in seinem Besitz, das weitere Exemplar erhielt die Cousine. Unstreitig war, dass die beim Erblasser verbliebene Verfügung durch dessen Betreuer zu Lebzeiten zerrissen wurde. Die gesetzlichen Erben waren daher der Ansicht, dass das Testament wirksam widerrufen sei, da es sich bei dem Exemplar, das der Cousine ausgehändigt wurde, lediglich um eine Abschrift gehandelt habe.

Das OLG war hingegen nach Auslegung aller Umstände der Ansicht, dass der Erblasser mit dem zweiten ausgehändigten Exemplar eine eigene formwirksame Verfügung von Todes wegen getroffen habe, die durch die Vernichtung des einen Testaments nicht wirksam widerrufen worden sei. Hierfür sprach nach Ansicht des Gerichtes, dass die der Cousine ausgehändigte Urkunde dem äußeren Anschein nach eher dem entsprach, was allgemein als "Schönschrift" bezeichnet wird.

Hinweis: Nach der allgemeinen Lebenserfahrung hätte man laut Gericht zwar erwartet, dass der Erblasser die Reinschrift bei sich behalten würde und die weniger ordentlich geratene Version aus der Hand gibt, da diese nur eine Beweisfunktion habe, selbst aber keine rechtsgestaltende Wirkung. Ebenfalls hätte man erwartet, dass der Erblasser, hätte er nur eine Abschrift erstellen wollen, dies entsprechend vermerkt hätte. Die Vernichtung eines Originaltestaments schlägt dennoch nicht automatisch auch auf ein weiteres vorhandenes Originaltestament durch.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 05.05.2020 - 31 Wx 246/19
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2020)

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