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Betreuungsunterhalt und Volljährigkeit: Mutter eines behinderten Kindes darf nicht überlastet werden

Einer der Gründe, warum nach der Scheidung noch Unterhalt an den Expartner zu zahlen ist, ist die Kinderbetreuung. In dem Umfang, in dem die Kinderbetreuung an Erwerbstätigkeit hindert, schuldet der andere Elternteil quasi Ersatz des Verdienstausfalls. Die typische Fallgestaltung hierfür sind kleine Kinder bis zum Ende des Grundschulalters. Dass dies bei besonders betreuungsbedürftigen Kindern jedoch auch über die Volljährigkeit hinaus gilt, hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigt.

Das zweite Kind der Eheleute war 2004 mit Gendefekten (Trisomie 18 sowie Monosomie 2q) geboren worden, die mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und schwerster Intelligenzminderung einhergehen. Das Kind hat einen Grad der Behinderung von 100 und Pflegegrad 4. Der Medizinische Dienst Hessen stellte einen Pflegeaufwand von 70 Stunden pro Woche fest. Die Werktage (7:45 Uhr bis 15:45 Uhr, freitags bis 12:30 Uhr) verbringt das behinderte Kind in einer Werkstatt für Behinderte, samstags betreut der Vater das Kind tagsüber für sieben Stunden. Die übrige Betreuung wird von der Mutter geleistet, die deshalb nicht erwerbstätig ist und Unterhalt vom geschiedenen Ehemann als Vater des Kindes begehrt. Ihre Zeit mit dem Kind ist von vielen Terminen (Ärzte, Physiotherapie) und häuslichen Trainings mit dem Kind gefüllt, zudem gibt es etlichen organisatorischen Aufwand im Zusammenhang mit Operationen des Kindes. Im Streit um den Nachscheidungsunterhalt bestritt der Vater den tatsächlichen Umfang des Pflegeaufwands der Mutter und meinte, eine 25-Wochenstunden-Erwerbstätigkeit sei möglich, während das Kind tagsüber fremdbetreut sei. Zudem sei das volljährige Kind nicht mehr auf die persönliche Betreuung seiner Mutter angewiesen. Daher sei es sowieso sinnvoll, das Kind aus der Familienpflege in eine Wohngruppe zu geben.

Mit dem Argument eines Auszugs befasste sich das Familiengericht erst gar nicht, denn der Aufenthalt des Kindes war Streitthema zwischen den Eltern beim dafür zuständigen Betreuungsgericht. Die Mutter war vorläufig zur gesetzlichen Betreuerin bestellt worden und durfte daher zurzeit über den Lebensmittelpunkt des Kindes entscheiden.

Das OLG rechnete aus, dass die Mutter trotz der Fremdbetreuung in der Ausbildungswerkstatt höchstens drei Wochenstunden erwerbstätig sein könne. Es sei zu beachten, dass die Erwerbstätigkeit nicht zu einer überobligationsmäßigen Belastung des betreuenden Elternteils führen darf. Möge auch der konkrete Zeitaufwand nicht benannt und nachgewiesen worden sein, könne unter Berücksichtigung der Gesamtumstände jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass überhaupt noch Zeit zur Aufnahme einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit verfügbar wäre. Angesichts der Tatsache, dass die Frau über keinerlei Berufsausbildung und -erfahrung verfüge, erschien dem OLG die Suche nach einer Drei-Wochenstunden-Tätigkeit sinnlos.

Hinweis: Die Überlegung, dass die Fremdbetreuung von Kindern nicht automatisch eine Erwerbstätigkeit der Mutter in genau demselben Umfang ermöglicht, gilt auch für jüngere Kinder. Immer muss auf die "Gesamtbelastung" geachtet werden, denn dem anderen Elternteil wird in der Regel auch nicht mehr als eine 40-Stunden-Woche im Dienste der Familie abverlangt. So hatte sich der Bundesgerichtshof bereits 2009 positioniert.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 05.09.2023 - 6 UF 69/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 11/2023)

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