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Kein unvermeidbarer Verbotsirrtum: Mercedes haftet nach Einbau einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung

Beim Thema "Abschalteinrichtung" ist noch lange nicht alles ausgeurteilt. Das beweist auch der Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG), bei dem es nicht etwa um geschönte Dieselabgaswerte, sondern um die sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) ging. Die zentrale Frage hierbei war, ob bei der KSR wie beim Thermofenster eine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz durch den Hersteller deswegen entfällt, weil dieser sich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann.

Eine solche Unvermeidbarkeit liegt dann vor, wenn der Hersteller auch bei äußerster Gewissensanspannung nicht hätte erkennen können, dass er Unrecht verwirklicht. Bei Zweifeln müsse sich der Hersteller bei einer fachkundigen und zuverlässigen Stelle erkundigen. Und hier spielte das Kraftfahrt-Bundesamt den Herstellern in die Karten, das die herstellerübergreifend in Dieselfahrzeugen zum Einsatz gekommenen Thermofenster nach jahrelanger Kenntnis und Genehmigungspraxis bis ins Jahr 2020 nicht beanstandet hatte. Bei der KSR verhielt es sich nach Ansicht des OLG jedoch anders.

Hier sah der Senat ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten, die den Einbau der KSR auch gar nicht erst bestritt. Das Gericht war der Überzeugung, dass sich die für die Beklagte handelnden Personen in keinem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden hatten. Seine Überzeugung stützte der Senat dabei auch darauf, dass das Kraftfahrt-Bundesamt hierzu keine derartige Kenntnis und Genehmigungspraxis habe walten lassen wie beim Thermofenster. Einen beachtlichen Rechtsirrtum über die Zulässigkeit der KSR habe die Beklagte auch nicht dargelegt, zumal sich diese hinsichtlich der KSR auch nicht auf einen vergleichbaren Vertrauenstatbestand wie beim Thermofenster stützen konnte.

Hinweis: Das OLG hat unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vom 21.03.2023 - C-100/21) sowie des Bundesgerichtshofs (vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) daher entschieden, dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch zusteht (aus § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung).


Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 19.10.2023 - 24 U 103/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

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