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Definitionsfrage: Wie schnell muss ein Erdrutsch sein, um ein Erdrutsch zu sein?

Dass Juristen oftmals zu Recht als wahre Haarspalter wahrgenommen werden, ist durchaus nicht von der Hand zu weisen. Der folgende Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt aber auf, dass diese Akribie durchaus ihre Bewandtnis hat. Denn was auf den ersten Blick als klare Formulierung daherkommt, ist im Streitfall schnell eine Frage der Interpretation und von erheblichen Kosten. Und dann muss unter die Lupe genommen werden, wer diese zu übernehmen hat.

Der Eigentümer eines Hauses hatte eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen, deren Versicherungsschutz sich auch auf Schäden durch Elementargefahren wie unter anderem einen Erdrutsch erstreckte. So hieß es in den Versicherungsbedingungen: "Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen." Das versicherte Grundstück des Mannes lag am vorderen Rand einer vor etwa 80 Jahren am Hang aufgestellten Terrasse. Dann gab es Rissbildungen an dem Wohnhaus und der zugehörigen Terrasse. Der Mann meinte, die Schäden seien nur mit einem Erdrutsch erklärbar. Sie seien durch nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr verursacht worden. Deshalb verlangte er für die gesamte Beseitigung der Schäden Kosten im Bereich von insgesamt 100.000 EUR als Vorschuss von der Versicherung. Als diese nicht zahlte, zog der Mann vor die Gerichte.

Der BGH musste die Frage klären, ob die versicherte Gefahr "Erdrutsch" ein in einer bestimmten Geschwindigkeit ablaufendes Ereignis voraussetze, und meinten: Nein. Somit habe hier nach Ansicht der Richter durchaus ein "Erdrutsch" vorgelegen - die Versicherung müsse zahlen. Es würden auch Schäden am Versicherungsobjekt umfasst, die durch allmähliche, nicht augenscheinliche naturbedingte Bewegungen von Gesteins- oder Erdmassen verursacht werden.

Hinweis: Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das vorinstanzliche Oberlandesgericht zurückverwiesen, das der Klage nun wohl stattgeben muss.


Quelle: BGH, Urt. v. 09.11.2022 - IV ZR 62/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 03/2023)

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