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Genitalentblößung: BVerfG erklärt beaufsichtigte Drogenscreenings mittels Urinkontrollen in JVA für unzulässig

Dieser Beschluss wird den Alltag in Gefängnissen für die Bediensteten nicht einfacher machen. Doch Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist es auch nicht, Arbeitsabläufe zu vereinfachen - selbst dann nicht, wenn es um die Unterbindung des Suchtmittelmissbrauchs in Justizvollzugsanstalten (JVA) geht. Denn auch hinter Gittern sind schwerwiegende Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur in absoluten Ausnahmefällen rechtens und kein hinnehmbarer Umstand innerhalb von Ablaufroutinen.

Um Suchtmittelmissbrauch im Strafvollzug zu unterbinden, hatte eine JVA regelmäßig allgemeine Drogenscreenings durch Urinkontrollen angeordnet, die durch gleichgeschlechtliche Bedienstete des Vollzugsdienstes durchgeführt werden sollten. Um Manipulationen oder Täuschungshandlungen - wie die Verwendung von Fremdurin - möglichst auszuschließen, erfolgten die Urinabgaben unter Aufsicht. Die Justizvollzugsbediensteten hatten während der Abgabe der Urinprobe jeweils einen freien Blick auf das entkleidete Genital. Dagegen zog ein Gefangener vor das Landgericht (LG), das seine Eingabe jedoch verwarf. Das wollte sich der Gefangene aber nicht gefallen lassen und zog bis vor das BVerfG.

Das BVerfG hob die Entscheidung des LG auf. Staatliche Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, lassen sich im Haftvollzug zwar nicht immer vermeiden, sind aber von besonderem Gewicht. Der Gefangene hat insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme. Es war bereits fraglich, ob die von der JVA durchgeführte Urinkontrolle auch ohne konkreten Verdacht auf Drogenmissbrauch angeordnet werden kann. Das LG hätte sich also mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob beaufsichtigte Urinkontrollen auch anlasslos angeordnet werden können. Das BVerfG hat die Angelegenheit an das LG zurückverwiesen, das hierzu somit erneut entscheiden muss.

Hinweis: Wer sich in seinen Rechten durch den Staat verletzt fühlt, kann in der Bundesrepublik klagen - und das bis zum BVerfG. Ein Rechtsanwalt sollte ein solches Verfahren allerdings unbedingt begleiten.


Quelle: BVerfG, Beschl. v. 22.07.2022 - 2 BvR 1630/21
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 10/2022)

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