Aktuelle Rechtsinformationen

[Inhalt]
[Vorheriger Text][Nächster Text]

Freie Meinungsäußerung im Job: Kündigung und Auflösungsantrag wegen kritischer Äußerungen über Arbeitgeber sind unzulässig

Äußert sich ein Arbeitnehmer kritisch über seinen Arbeitgeber, so ist stets sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung mit dem Interesse des Arbeitgebers auf Betriebsfrieden bzw. auf korrekte Erfüllung des Arbeitsverhältnisses abzuwägen.

Der Arbeitnehmer ist seit 1986 als Maschinenbediener bei einem Großunternehmen der Automobilindustrie beschäftigt. Im Jahr 2002 war er Mitglied eines Solidaritätskreises, der mit Angabe der Kontaktadresse des Arbeitnehmers folgende "Info" veröffentlichte:

"In dieser Sache richten wir uns an die Arbeiter und die breite Bevölkerung. Wir greifen die verschärfte Ausbeutung an und weisen die Angriffe auf die politischen und gewerkschaftlichen Rechte zurück. Wir lehnen die menschenverachtende Jagd auf Kranke ab."

Auf diese dem Arbeitnehmer zuzurechnenden Äußerungen stützte der Arbeitgeber im Dezember 2002 die erste und danach bis August 2007 weitere vier Kündigungen. Im Laufe der langjährigen (gerichtlichen) Auseinandersetzungen der Parteien, die bis zum Bundesarbeitsgericht gingen, wiederholte der Arbeitnehmer in abgewandelter Form in einem Internetbeitrag die bereits 2002 gemachten Äußerungen. Damit begründet der Arbeitgeber nunmehr die fünfte Kündigung und beantragt hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Das LAG Baden-Württemberg hat mit seinem Urteil vom 10.02.2010 die fünfte Kündigung für unwirksam erklärt und den Auflösungsantrag des Arbeitgebers zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, dass die verhaltensbedingte Kündigung unwirksam ist. Der dem Arbeitgeber zuzurechnende Internetbeitrag ist vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt und verletzt nicht seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass seine Äußerungen im Zusammenhang mit den (gerichtlichen) Auseinandersetzungen der Parteien zu sehen sind.

Diese Äußerungen rechtfertigen auch nicht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung auf Antrag des Arbeitgebers. Eine Gesamtbewertung der Äußerungen und des Verhaltens des Arbeitnehmers lässt nicht erkennen, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit der Parteien nicht mehr zu erwarten ist.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 10.02.2010 - 2 Sa 59/09
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 04/2010)

[Vorheriger Text][Nächster Text]
[Inhalt]

 

[Startseite] [Archiv]