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Fünf Jahre dauerndes Umgangsverfahren: Verfahrensverzögerung kann Entfremdung verursachen und zu Entschädigungsforderungen führen

Es ist immer ärgerlich, wenn Bürger das Gefühl haben, es wird von Amts wegen her getrödelt. In Familiensachen kann eine Verzögerung zudem irreparable zwischenmenschliche Folgen haben. Deshalb sind Verfahren, in denen es um Sorge- oder Umgangsrecht geht, vom Familiengericht vorrangig und beschleunigt durchzuführen, wie das folgende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) beweist.

Der Fall, der 2021 beim BGH landete, begann im Februar 2014. Es ging um das Umgangsrecht einer Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern, die zuerst in einer Pflegefamilie, dann beim Vater lebten. Es dauerte von 2015 bis 2018, bis ein Sachverständigengutachten vorlag. Das Gericht hatte es abgelehnt, einen Sachverständigen zu suchen, der schneller mit dem Gutachten hätte beginnen können. So wurde der Umgang erst ab 2019 geregelt, dazwischen hatte die Mutter die Kinder nur acht Mal gesehen.

Im Laufe der Jahre hatte die Mutter mehrere Beschleunigungsrügen und -beschwerden eingereicht. Das Oberlandesgericht Koblenz (OLG) hatte ihr dabei auch durchaus recht gegeben, dass das Amtsgericht (AG) zu langsam arbeite. Daraufhin arbeitete das AG und wies die zwischenzeitlich eingereichten Anträge auf vorläufige einstweilige Regelung des Umgangs ab - eine Beschwerdemöglichkeit zum OLG ist hierbei gesetzlich nicht vorgesehen. Nach Abschluss des Umgangsverfahrens verklagte die Mutter das Land auf eine Entschädigung von 15.000 EUR.

Der BGH erkannte, dass in Verfahren, die Fragen des Sorge- und Umgangsrechts insbesondere gegenüber Kleinkindern zum Gegenstand haben, Eile geboten ist. Es errechnete, dass das Familiengericht ganze 37 Monate hätte schneller sein können. Insbesondere bei kleinen Kindern sei die Gefahr irreparabler Folgen durch fortschreitenden Zeitablauf besonders groß. In diesen Fällen schreite die Gefahr der Entfremdung, die für das Verfahren Fakten schaffen kann, mit jeder Verfahrensverzögerung fort, so dass die Möglichkeiten einer Zusammenführung schwinden und letztendlich zunichte gemacht werden können, wenn Eltern und Kind sich nicht sehen dürfen. Die Tragweite dessen, was für die Mutter in dem Verfahren auf dem Spiel stand, verpflichtete das Familiengericht zur größtmöglichen Verfahrensbeschleunigung. Die verlorene gemeinsame Zeit, die für die Entwicklung, Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der frühkindlichen Bindungen der beiden sehr kleinen Kinder zur Mutter wesentlich war und eine erhebliche Entfremdung zwischen der Mutter und ihren Kindern zur Folge hatte, kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht wiedergutgemacht werden. Zur Klärung der Entschädigungshöhe verwies der BGH zurück an die Vorinstanz.

Hinweis: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in vergleichbaren Verfahren Entschädigungen zwischen 7.000 EUR und 15.000 EUR zugesprochen.


Quelle: BGH, Urt. v. 06.05.2021 - III ZR 72/20
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 09/2021)

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