Aktuelle Rechtsinformationen

[Inhalt]
[Vorheriger Text][Nächster Text]

Wenn Kinder und Enkel erben: Keine prophylaktische Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für Erteilung eines Erbscheins

Der folgende Fall zeigt hervorragend auf, wie groß die Schnittmenge zwischen Familienrecht und Erbrecht sein kann. Denn hier wurde eine Frau zur Haupterbin und gleichsam zur Nachlasspflegerin ihrer minderjährigen miterbenden Kinder. Ein offensichtlicher Interessenskonflikt für die Erstinstanz - das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) war anderer Ansicht.

Die im Jahr 2021 verstorbene Erblasserin verfügte in ihrem Testament, dass ihre Tochter zur Haupterbin eingesetzt werden solle. Daneben sollten auch die Enkelinnen der Erblasserin Wertpapiere im Wert von 200.000 EUR und gegebenenfalls weitere 75.000 EUR erben - je nach Wert des hinterlassenen Gesamtvermögens. Und genau hier lag der Knackpunkt: Je nach Auslegung des Testaments könne es zu unterschiedlichen Höhen der Zuwendungen an die Erben kommen. Das Nachlassgericht sah in dieser Konstellation eine Interessenkollision der Erben. Daher entzog das Familiengericht beiden Eltern vor dem Amtsgericht (AG) die Vertretungsmacht für das Erbscheinsverfahren und ordnete eine Ergänzungspflegschaft an. Nur auf diesem Weg könne sichergestellt werden, dass keine Nachlassverteilung zu Lasten der minderjährigen Kinder erfolge.

Die Eltern konnten sich jedoch erfolgreich gegen die Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Wehr setzen. Zwar sah auch das OLG grundsätzlich Potential für eine solche Interessenkollision, und einem Elternteil könne das Sorgerecht entzogen werden, wenn das Interesse des Kindes dem des Elternteils als gesetzlichem Vertreter erheblich entgegenstehe. Insoweit hatte das AG zu Recht ausgeführt, dass je nach Testamentsauslegung eine unterschiedliche Höhe der Zuwendung an das Kind und damit an die Mutter herauskäme. Derartige Interessengegensätze dürfen allerdings nicht allgemein vermutet werden - sie müssen im Verfahren konkret festgestellt werden. Das konnte das OLG hier nicht - im Gegenteil: Die Eltern hatten immer wieder erklärt, die günstigste Auslegung zugunsten der eigenen Kinder vornehmen zu wollen. Im Ergebnis bedurfte es daher für die Erteilung eines Erbscheins keiner Vertretung der Tochter durch einen Ergänzungspfleger.

Hinweis: Die Anhörung der Erben ist ein wichtiger Verfahrensbestandteil des Nachlassverfahrens. Die Auslegung des Testaments ist allerdings nicht Angelegenheit der Erben, sondern des Nachlassgerichts.


Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 20.06.2022 - 7 WF 434/22
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2022)

[Vorheriger Text][Nächster Text]
[Inhalt]

 

[Startseite] [Archiv]