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Nach Geltendmachung des Vermächtnisses: Strenge Anforderungen an die Annahme, dass auf den Zusatzpflichtteil verzichtet wurde

Wird ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, kann er den Pflichtteil nur verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Tut er das nicht, steht ihm der Pflichtteil nur zu, soweit dessen Wert über dem des Vermächtnisses liegt (= Zusatzpflichtteil). Vor dem Oberlandesgericht Celle (OLG) ging es nun darum, ob ein Pflichtteilsberechtigter mit der vorbehaltlosen Geltendmachung des Vermächtnisses durch "schlüssiges Verhalten" auf diesen Zusatzpflichtteil verzichtet hatte.

Die pflichtteilsberechtigten Kinder des Erblassers waren von ihrem Vater aufgrund eines notariellen Testaments mit Vermächtnissen bedacht worden. Nach dem Tod des Vaters forderten sie die Alleinerbin - die Ehefrau aus zweiter Ehe - dazu auf, das Vermächtnis aus dem Verkauf eines Wertpapierdepots zu erfüllen. Dieser Verpflichtung kam die Erbin nach. In der Folge entstand ein Streit über die Wertermittlung von Immobilien im Nachlass des Erblassers. Die Alleinerbin war der Ansicht, diesen Wertermittlungsanspruch nicht erfüllen zu müssen, da die Kinder durch die Geltendmachung des Vermächtnisses ohnehin keinen Anspruch mehr als Pflichtteilsberechtigte geltend machen könnten.

Diese Auffassung teilte das OLG im Ergebnis nicht. Die Kinder hätten durch die Geltendmachung des Vermächtnisses weder ausdrücklich noch stillschweigend auf ihren Pflichtteil verzichtet. Hierfür wäre erforderlich gewesen, dass zwischen den Beteiligten unmissverständlich klar gewesen wäre, dass mit Annahme des Geldbetrags aus dem Vermächtnis keine Pflichtteilsansprüche mehr geltend gemacht werden. Entgegen der Ansicht der Erbin sei es auch nicht notwendig gewesen, sich bei der Annahme des Vermächtnisses die Geltendmachung von restlichen Pflichtteilsansprüchen ausdrücklich vorzubehalten. Das OLG hat die Erbin im Ergebnis daher dazu verpflichtet, die Wertgutachten für die Immobilien durch einen Sachverständigen ermitteln zu lassen.

Hinweis: Der Erbe kann dem Pflichtteilsberechtigten eine angemessene Frist zur Erklärung setzen, ob er das Vermächtnis annimmt. Läuft die Frist ohne eine solche Erklärung ab, gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen.


Quelle: OLG Celle, Urt. v. 29.07.2024 - 6 U 51/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

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