[Inhalt]
[Vorheriger Text][Nächster Text]

Ungeduldige Versicherungsvertreter: Komplexe Fragen müssen bei Vertragsabschluss verständlich gestellt werden

Gesundheitsfragen beim Abschluss eines Versicherungsvertrags sind häufig umfassend und kompliziert. Je komplexer sie sind, desto langsamer muss der Versicherungsvertreter sie dem Vertragspartner vorlesen. Andernfalls kann es dem Versicherungsnehmer nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn er falsche Antworten gibt.

Eine Frau schloss einen Rentenversicherungsvertrag ab. Die Versicherungsvertreterin stellte ihr diverse Gesundheitsfragen, die teilweise sehr komplex waren. So wurde sie gefragt, ob sie in den letzten fünf Jahren "Beschwerden, Störungen, Krankheiten oder Vergiftungen" hatte, wobei 30 Krankheiten beispielhaft genannt waren. Die Versicherungsvertreterin las die Fragen und Beispiele zügig vor. Die Frau antwortete mit "Nein", obwohl sie in der maßgeblichen Zeit wegen des Verdachts der Schizophrenie bei einer Nervenärztin in Behandlung gewesen war und über Jahre hinweg ein Antidepressivum genommen hatte.

Werden komplizierte Fragen anlässlich des Abschlusses eines Versicherungsvertrags schnell vorgelesen, kann es dem Versicherungsnehmer nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er sie falsch beantwortet hat. Deshalb konnte die Versicherung den Vertrag weder anfechten noch von ihm zurücktreten, sondern musste zahlen.

Hinweis: Soll geltend gemacht werden, dass ein Versicherungsvertreter bei Vertragsabschluss die Fragen zu schnell vorgelesen hat, ist es in der Praxis schwer, dies zu beweisen. Die hier vorgestellte Entscheidung ist deshalb kein "Freifahrschein". Vielmehr ist es nach wie vor ratsam, die Fragen anlässlich des Abschlusses eines Versicherungsvertrags sorgfältig und richtig zu beantworten.


Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 19.04.2012 - 7 U 157/11
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 10/2012)

[Vorheriger Text][Nächster Text]
[Inhalt]

 

[Startseite] [Archiv]